BUNDjugend  
Eine Woche Wildnis - Ein Bericht

Erlebnisbericht Wildniswandern (2016)

Diesen Juli war ich mit einer Gruppe von sieben Leuten unterwegs in den polnischen Waldkarpaten. In unseren Rucksäcken steckten neben der nötigen Ausrüstung aus Wasserfiltern, Schlafsäcken und Schutzplanen für die Nacht auch ausreichend Lebensmittel für acht Tage. Unser Plan war es, für den gesamten Tourenverlauf vollkommen unabhängig von Zivilisation zu sein und das gewohnte Umfeld unseres Alltags so weit wie möglich hinter uns zu lassen.

Selbstverständlich gibt es auch auf so einer Wanderung Routinen, die denen zu Hause ähneln. Man kocht sich morgens seinen Tee, nimmt sein Frühstück ein, geht auf Toilette usw. Die Rahmenbedingungen jedoch, in denen dieser „Alltag“ stattfindet sind natürlich andere. Das Interesse von mir als Leiter dieser Reise besteht darin, dass die Teilnehmer*innen erforschen können, wie sie auf die Herausforderungen reagieren. Sie sollen erleben, was es mit ihnen macht ganz unmittelbar in der Natur zu sein.

panoramacamp

Wie die Gruppe und ich dieses Abenteuer bestanden haben und was mit uns passiert ist, als wir Stadtmenschen uns für etwas mehr als eine Woche Wald, Gestrüpp, Braunbären, Hitze und steilen Berghängen ausgesetzt haben, darüber haben wir uns während der Tour ausgetauscht und Buch geführt. Einige Ausschnitte aus diesen Erlebnisberichten und persönlichen Reflexionen könnt ihr jetzt hier nachlesen.

„An unserem ersten Wandertag beginnt es am Abend zu regnen. Nachdem wir unsere Planen gespannt haben, sitzen wir für etwa 1 ½ Stunden darunter und verfolgen den Regenguss, reden wenig – ohne dass es dabei langweilig wird. Nachdem es aufgehört hat, kochen wir uns ein Abendessen.“

Die Entschleunigung, die sich während des Tourenverlaufs bei uns allen einstellt ist wichtig und wird gepflegt. Auf „Echtzeit“ verlangsamt, wie ich es gerne nenne, verändert sich auch das Alltagserleben im Wald. Wir werden achtsamer. Teilnehmer*innen berichteten im Tourenverlauf immer wieder davon, dass sie eine Schärfung ihrer Sinne erfahren. Eine Feststellung, die sicherlich eng mit dem Ankommen im Augenblick verbunden ist.  Man kann also durchaus sagen, dass die Erlebnisse einer solchen Tour einem wie die in einer anderen Welt vorkommen können. Wie ich das meine lässt sich vielleicht am besten mit einem weiteren Erlebnis unserer Tour verbildlichen.

„An einem der heißen Tage sind wir fast ausschließlich querfeldein gegangen, haben uns unseren Weg zwischen umgefallenen Baumstämmen und Gestrüppen gesucht. Der Eindruck, der sich dabei immer mehr verstärkte, war der einer festen Umklammerung durch die Natur. Dieses urwaldartige Knäul aus Grün zusammen mit der körperlichen Anstrengung, das hatte mich fest im Griff. Ich hab diese Umklammerung, diese Bedrängung ganz konkret erlebt und gleichzeitig war ich ganz unabhängig. Hab da gestanden und hab mich gegen diese Wildnis behauptet. Das war ein intensives Erlebnis für mich. So wie ein Entdecker im Amazonasbecken auf der Suche nach Eldorado, oder so.“

Die körperliche Herausforderung, wie sie in diesem Beispiel erwähnt wird, ist nicht nur wegen unseren vollbeladenen Rucksäcken ein ständiges Thema. An vielen Tagen ist es sehr heiß, auf unseren Querfeldeinstrecken der Boden uneben und das Gelände steil. Zwar ist die Wanderung ausdrücklich nicht als sportliche Herausforderung konzipiert und unsere durchschnittliche Tagesetappe liegt wahrscheinlich irgendwo zwischen 8 und 16 km. Trotzdem spielt die Grenze der körperlichen Leistung eine große Rolle. Damit einhergehend öffnet sich eine ganze Palette an Herausforderungen auch im Innenleben, wie sich an dieser Beschreibung eines Teilnehmers erahnen lässt.

„Ich würde jetzt gerne behaupten, dass ich absichtlich immer am Ende der Gruppe unterwegs gewesen bin, aber insbesondere bergauf war ich auch einfach der Langsamste, musste bei der ein oder anderen sehr steilen Passage fluchen und habe mein komplettes T-Shirt vollgeschwitzt. Besonders ärgerlich für mich war der Aufstieg am dritten Tag. Bei einem gefühlten Gefälle von 80% war ich mal wieder ganz hinten unterwegs als wir unseren Vordermann laut rufen hörten. Und was soll ich sagen, bei unserer einzigen direkten Wildbegegnung war ich der Einzige der die Wisent-Herde, bestehend aus 12-15 Tieren, nicht gesehen hat. Und wenn ich schon beim Aufstieg immer unglaublich fluchen musste, war das noch harmlos zu meinem jetzigen Ausbruch.“

Gerade solche Momente, in denen man durchaus so etwas wie Verzweiflung und Wut über die erlebte Begrenztheit fühlen kann, sind für mich so etwas wie das Salz in dieser Unternehmung. Hier ist die Zeit den Emotionen nachzuspüren und anders als zu Hause gibt es keine Strategie dafür sich der Situation durch Zerstreuung zu entziehen. Das gilt für unangenehme Empfindungen aber natürlich auch für die Schönen und Wohligen. Das Wechselspiel der Höhen und Tiefen unmittelbar zu erleben macht die Tage reich an Geschichten, Eindrücken und Lernanlässen.

„Noch vor Sonnenaufgang aufgewacht und das Licht ist noch ganz Graublau. Dirk ist auch schon wach. Ohne zu sprechen schauen wir an den gegenüberliegenden Hang, wo im Frühnebel das Rotwild steht.“

 

„Am Vormittag gehen wir bergab durch ein kleines Seitental. Die Hänge sind dicht mit Büschen und kleinen Bäumen bewachsen, wir kommen auf einem halb zugewachsenen Weg gut voran. Hier an den geschützten und wassernahen Hängen wohnen die Braunbären. Mit lauten Rufen machen wir auf uns aufmerksam, damit wir keinem von ihnen auf die Füße treten.“

„Leider finden wir nie eine direkte Quelle, sodass wir für das Wasser auffüllen immer die beiden Filter benutzen müssen, was 1-2 Stunden dauerte. Wenn möglich verlegen wir das Wasser auffüllen auf die Mittagspause. Am dritten Tag auch mal an einen größeren Bach, wo wir uns waschen können, was wir sichtlich genießen, da es an den sonnigen Tagen auch immer sehr heiß ist.“

„Besonders gerne erinnere ich mich an unsere allabendliches Ritual, welches das in die Bäume hängen der Lebensmittelsäcke darstellte. Das musste sein, wegen der Bären natürlich. Dabei haben wir uns gerade zu Beginn der Tour mit dem Aufwand den das jeweils darstellte verschätzt und bei zunehmender Dunkelheit wird es natürlich auch immer schwieriger die Leinen an einem Ende mit einem Stock zu verknoten und dann, das so beschwerte Leinenende gezielt über einen Ast zu schmeißen. Mit dem als Umlenkpunkt konnten wir dann die Säcke auf 3-4 Meter hochziehen.“

Wesentlich an einem Abenteuer ist, dass man sich über das Bekannte hinauswagt und zu Beginn nicht sagen kann wie die Unternehmung ausgehen wird. Unsere Reise ist also in jedem Fall ein echtes Abenteuer gewesen. Für die Teilnahme waren keine Vorerfahrungen mit Wildniswanderungen nötig und für die meisten von uns waren es überhaupt die ersten Übernachtungen in Wäldern, die neben uns auch Wölfe, Bären und Wisente beherbergen. Was den Verlauf unserer Tour und die Route der Wanderung betraf, habe ich von Beginn an kommuniziert, dass ich kein spezielles Ziel hatte. Mir ging es darum, draußen in der wilden Natur zu sein, wie es sie in Mitteleuropa praktisch nicht mehr gibt. Wichtig war es mir die Landschaft, das Umherziehen und die Menschen in der Gruppe zu erleben. Ein konkreter Endpunkt  ist dabei nicht nötig und meiner Erfahrung nach sogar kontraproduktiv. So kam es, dass wir im Tourenverlauf häufig über die Route und die Richtung für die kommenden Tage gesprochen haben. Gebeugt über die Karte, die vielen Möglichkeiten abwägend, um im Abschluss eine für alle gute Entscheidung zu treffen.

Eine Entscheidung ist bei mir schon während der Wanderung gefallen, nämlich die für eine Fortsetzung. Schon im Juni 2017 gehe ich wieder für die BUNDjugend mit einer Gruppe auf Wildnistour. Genaue Informationen und die Möglichkeit euch anzumelden bekommt ihr hier.

Projekte zum Projekt Erlebnisbericht Wildniswandern (2016)